Dr. Andrea Grünhagen, Referentin für Theologie und Kirche im Kirchenbüro der SELK in Hannover führt und begleitet uns heute durch die stille, heilige Nacht, sodass wir an dieser noch ganz andere Aspekte wahrnehmen.
Stille Nacht, heilige Nacht…
Ah ja, das ist ja das Lied mit dem Owie. Und dem holden Knaben im
lockigen Haar. Kein Wunder, dass es das nicht mal ins geplante neue
Gesangbuch der SELK geschafft hat. Im Evangelischen Gesangbuch steht es
aber drin. Im Gotteslob auch. Ist der Text nun peinlich oder schön?
Also vor allem ist er nicht vollständig, wenn nur die üblichen drei
Strophen abgedruckt werden. Die ursprüngliche Dichtung hat nämlich sechs
Strophen. Die aussagekräftigsten hat man leider oft weggelassen. In
Wirklichkeit geht das bekannte Weihnachtslied so:
1.Stille Nacht, heilige Nacht!
Alles schläft. Einsam wacht
nur das traute hochheilige Parr,
Holder Knab‘ im lockigen Haar.
Schlaf in himmlischer Ruh‘
schlaf in himmlischer Ruh‘.
2. Stille Nacht, heilige Nacht!
Gottes Sohn! O! Wie lacht
Lieb‘ aus deinem göttlichen Mund,
da uns schlägt die rettende Stund,
Jesus in deiner Geburt,
Jesus in deiner Geburt.
3. Stille Nacht, heilige Nacht!
Die der Welt, Heil gebracht!
Aus des Himmels goldenen Höh’n
uns der Gnaden Fülle läßt seh’n
Jesus in Menschengestalt
Jesus in Menschgestalt.
4. Stille Nacht, heilige Nacht!
Wie sich heut, alle Macht
väterlicher Liebe ergoß,
und als Bruder huldvoll umschloß
Jesus die Völker der Welt,
Jesus die Völker der Welt!
5. Stille Nacht, heilige Nacht!
Lange schon, uns bedacht,
als der Herr vom Grimme befreit,
in der Väter urgrauer zeit
aller Welt Schonung verhieß
aller Welt Schonung verhieß!
6. Stille Nacht, heilige Nacht!
Hirte erst, kundgemacht.
Durch der Engel Hallelujah,
tönt es laut von fern und nach
Christ der Retter ist da,
Christ der Retter ist da.
Damit hätte sich das Problem mit dem Owie schon mal erledigt. Merke:
Satzzeichen können Leben rette. Beispiel: Wir essen jetzt, Oma. Es muss
hier heißen: O! Wie lacht. Aber zugegebenermaßen erschließt sich das
erst, wenn man es mal geschrieben gesehen hat. Aber das haben wir ja
nun. Den holden Knaben, bzw. seine lockigen Haare kann man sogar
historisch erklären. Im Jahr 1816 dichtete ein junger Pfarrer in
Österreich im Ort Mariapfarr ein Weihnachtsgedicht. Dabei hatte er ein
Bild in seiner Kirche vor Augen, auf dem das Jesuskind blonde, lockige
Haare hat. Natürlich weiß niemand, ob Jesus wirklich lockige Haare
hatte. Er war mit ziemlicher Sicherheit nicht blond. Man weiß genauer
gesagt noch nicht einmal, ob er als Neugeborener überhaupt soviel Haare
hatte, dass man das hätte erkennen können. Es ist auch echt egal. In
jeder Kultur gibt es Krippendarstellungen, die die Weihnachtsgeschichte
in ihre jeweilige Umgebung versetzen und die Personen so aussehen
lassen, wie sie dort eben aussehen. Das ist auch theologisch in Ordnung.
Jesus wurde Mensch, einer von uns, soll das bedeuten. Er kommt dahin,
wo wir leben. Wenn zum Beispiel afrikanische oder asiatisch aussehende
Krippenfiguren oder Bilder okay sind, dann sind in Tirol auch Bilder vom
Jesusknaben mit blonden Locken okay.
Wie aus dem Gedicht ein Lied
wurde, das ist aber eine andere Geschichte. Vor genau 200 Jahren, am
24.12.1818 wurde es zum Weihnachtsgeschenk für eine arme Gemeinde an der
bayrisch-österreichischen Grenze. Die Menschen, die in Oberndorf am
Fluss Salzach wohnten, verdienten ihr Geld als Flussschiffer. Damit
wurde man nicht reich. Das Jahr 1818 ist außerdem als das „Jahr ohne
Sommer“ in die Geschichte eingegangen. Das hatte was mit einem
Vulkanausbruch irgendwo zu tun und Aschewolken in der Atmosphäre,
jedenfalls litten die Menschen wegen der Missernte Hunger. Zu allem
Überfluss hatte Napoleon ein paar Jahre zuvor halb Europa mit Krieg
überzogen.
Und ausgerechnet zu Weihnachten ging nun die Orgel in der
Pfarrkirche in Oberndorf kaputt. Dabei wollte der Hilfspfarrer Joseph
Mohr seiner Gemeinde doch wenigstens mit einer wunderschönen Christmette
eine Freude machen. Da fiel ihm das Weihnachtsgedicht ein, das er zwei
Jahre zuvor verfasst hatte und er bat den Lehrer und Organisten, der
Franz Xaver Gruber hieß, doch bitte das Gedicht zu vertonen,
vierstimmig, für den Kirchenchor und mit Gitarrenbegleitung. Da gelang
auch und so wurde das Lied: „Stille Nacht, Heilige Nacht“ in der
Weihnachtsnacht 1818 uraufgeführt.
Kurz nach Weihnachten kam der
Orgelbaumeister Mauracher, um die Orgel zu reparieren, lernte das Lied
kennen und fand es so schön, dass er es überall, wo er hinkam, spielte
und es an bekannte Sänger weitergab. Damit trat es seinen Siegeszug
durch die Welt an. Bereits 1822 wurde Stille Nacht vor den Kaisern Franz
I von Österreich und Alexander I von Russland aufgeführt.
Der
preußische König Friedrich Wilhelm IV (das war der, dem selbständige
Lutheraner dankbar sind, dass er die Verfolgung der Altlutheraner
beendete) liebte dieses Weihnachtslied auch sehr. Er wollte wissen, wer
es verfasst hätte und ließ durch seine Hofkapelle in Österreich
anfragen. Das war 1854, da lebte Franz Xaver Gruber noch und hat die
Geschichte aufgeschrieben.
1905 wurde das Lied zum ersten Mal auf
Schallplatte aufgenommen. Die Version von Bing Crosby (das ist der mit
„White Christmas“) von 1935 verkaufte sich weit über 10 Millionen mal.
Mittlerweile ist das Lied aus der armen Kirche an der Salzach in über
300 Sprachen übersetzt worden. Man kann es sogar auf Grönländisch,
Hawaiisch, Rätoromanisch und Gälisch singen.
2011 hat es die Unesco in das immaterielle Kulturerbe Österreichs aufgenommen.
Natürlich ist es schlicht. Das war die Gemeinde, für die Joseph Mohr es
geschrieben hat, ja auch. Aber es ist alles drin, was an Weihnachten zu
sagen ist, von der Verheißung des kommenden Retters an bis zur
Menschwerdung Gottes in der Heiligen Nacht. Und ist es nicht besonders
schön, wie oft der Name Jesus darin vorkommt? Vielleicht können sich ja
viele nur nicht mit dem Lied identifizieren, weil sie zu stolz sind. Mit
den Werken eines Leipziger Thomaskantors geht das besser. Aber die
schlichten Verse eines Hilfsgeistlichen einer hungernden Gemeinde, nein
das lieber nicht. Aber „Stille Nacht“ ist mittlerweile in der ganzen
Welt bekannt und seine Kraft besonders da entfaltet, wo die Menschen
auch litten und froren und hungerten. In den Schützengräben des 1.
Weltkrieges und in Stalingrad zum Beispiel. Es ist übrigens nicht das
einzige Weihnachtslied, das eine so bescheidene Herkunft hat. „Vom
Himmel hoch“ schreibt Luther als Kinderlied für seine Kinder. „Ich steh
an deiner Krippen hier“ dichtete Paul Gerhardt fünf Jahre nach den
Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges. „O du fröhliche“ war ein
Geschenk von Johann Daniel Falk in Weimar für seine Waisenkinder. Da
passt „Stille Nacht“ doch gut dazu.
Es ist eigentlich auch klar:
Gottes Liebe gilt besonders den Kindern und den Armen. Zu Weihnachten
wurde er ja selbst ein Kind und arm. Daran kann uns „Stille Nacht“
erinnern.